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Hintergrund

Am 6. Juli 2021 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Sustainable Finance Strategie: Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden, bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 55% des Niveaus von 1990 reduziert werden. Europa soll so zum “Globalen Vorreiter” bei der Eindämmung des Klimawandels werden.

Zur Erreichung dieser Ziele sind finanzielle Mittel in Höhe von 260 Mrd. Euro jährlich erforderlich, die sowohl aus öffentlichen als auch aus privaten Mitteln bereitgestellt werden sollen. Der Finanzwirtschaft wird dabei eine besondere Bedeutung zuteil, weil Finanzströme umgelenkt werden sollen in Richtung nachhaltiger Investitionen. Das soll u. a. durch die folgenden Maßnahmen erreicht werden:

  • Klassifizierung von wirtschaftlichen Aktivitäten bezüglich ihres Beitrags zu einer nachhaltigen Entwicklung (“Taxonomie”)
  • Standards/Gütesiegel für “grüne” Finanzprodukte
  • Aufnahme von Nachhaltigkeitskriterien in die Finanzberatung, Erfassung der sogenannten “Nachhaltigkeitspräferenzen”

Umsetzung

Seit dem 2. August 2022 sind Banken und Wertpapierfirmen verpflichtet, bei der Anlageberatung und der Vermögensverwaltung Anleger
explizit nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen. Die finanziellen Komponenten bei Investitionsentscheidungen – Rendite,
Risikotragfähigkeit und Liquidität – werden um das Kriterium der Nachhaltigkeit ergänzt.

Es dürfen Anleger*innen nur Produkte empfohlen werden, die ihren “Nachhaltigkeitspräferenzen” entsprechen, sofern sie welche angegeben haben. Eine Pflicht, in nachhaltige Produkte zu investieren, besteht nicht. Jeder (Privat-)Anleger ist nach wie vor frei in der Entscheidung, ob und ggf. inwiefern nachhaltige Produkte in der Anlageberatung berücksichtigt werden sollen.

Nach der Aufklärung der Anleger*innen über Produktausprägungen und Nachhaltigkeitsmerkmale sollen über einen mehrstufigen Abfrageprozess ihre Nachhaltigkeitspräferenzen erfasst werden. Die Klassifizierung von Nachhaltigkeit bei der Kapitalanlage basiert auf der Delegierten Verordnung zur europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II und erfolgt auf drei unterschiedliche Arten:

Klassifizierung von Nachhaltigkeit bei der Kapitalanlage

1. EU-Taxonomie (Bewertungssystem für Nachhaltigkeitseigenschaften von Wirtschaftstätigkeiten)

Verpflichtung der Finanzmarktteilnehmer, z. B. Investmentfonds, die ein Finanzprodukt als ökologisch vermarkten wollen, über den Anteil
an ökologisch nachhaltigen Investitionen im Sinne der Verordnung in ihrem Portfolio zu berichten.

Die Taxonomieverordnung definiert die folgenden sechs Umweltziele:
• Klimaschutz;
• Anpassung an den Klimawandel;
• die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen;
• der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft;
• Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung;
• der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.
Um im Sinne des Taxonomieverordnung als ökologisch nachhaltig zu gelten, müssen Wirtschaftsaktivitäten in einem dieser sechs
Umweltziele einen deutlich positiven Effekt erreichen. Gleichzeitig dürfen sie keine erheblichen Beeinträchtigungen auf die anderen fünf
Umweltziele haben (sogenanntes DNSH-Prinzip [„Do No Significant Harm“]).

Zudem müssen Mindestanforderungen in sozialen Bereichen oder bei den Menschenrechten erfüllt werden.
Bislang liegen nur für einige Umweltziele die Spezifikationen vor, die von technischen Expertengruppen mit detaillierten Beschreibungen
und Grenzwerten pro Wirtschaftsaktivität entwickelt wurden. Zum Beispiel wird im Detail erläutert, welche CO2-Grenzwerte eingehalten
werden müssen. Durch diesen derzeitigen Fokus wird nur ein kleiner Teil aller Realwirtschaftstätigkeit von der Taxonomie erfasst.
Schrittweise werden die Spezifikationen auch für die anderen Umweltziele definiert werden, so dass die Taxonomieverordnung perspektivisch europäischer Standard für nachhaltige Investitionen werden wird.

2. EU-Offenlegungsverordnung (Transparenzvorgaben für Finanzprodukten, “Artikel 8” und “Artikel 9”-Fonds)

Verpflichtung für Produktanbieter und Finanzberater, bestimmte Informationen zu ihrem Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken und negativen Nachhaltigkeitsauswirkungen ihrer Investitionen zu veröffentlichen:

Artikel 8-Produkt: bewirbt soziale und/oder ökologische Ziele

Artikel 9-Produkt: verfolgt ein klares Nachhaltigkeitsziel

Artikel 10: regelt die “Nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungen” des Produktanbieters, die im Verkaufsprospekt des Investmentfonds zu finden sind.

3. Principle Adverse Impacts (“PAIs” = „wichtigste nachteilige Auswirkungen“ von Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren)

Anhand von verpflichtenden PAI-Indikatoren für Investitionen in Unternehmen kann gemessen werden, inwieweit sich die Tätigkeiten von Emittenten negativ auf Nachhaltigkeitsfaktoren auswirken. Die folgenden Indikatore n werden seit Januar 2023 von den meisten Produktanbietern geliefert und können von Anleger*innen als Kriterien für nachhaltige Finanzprodukte ausgewählt werden:

  • Treibhausgas-Emissionen
  • Wasser
  • Abfälle
  • Biologische Vielfalt
  • Soziales und Arbeitnehmerbelange
  • Energieeffizienz und Fossile Brennstoffe

Herausforderungen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage

  1. Individuelle Vorstellungen von Nachhaltigkeit: Es gibt keine einheitliche Definition von “Nachhaltigkeit”. Eine Diskrepanz zwischen persönlichen Werten der Anleger*innen und der Klassifizierung von Produkten als “nachhaltig” im Sinne der o. g. Ansätze ist nicht selten. Um Enttäuschung zu vermeiden, sollten sich Anleger*innen ihre Anforderungen an eine “nachhaltige” Geldanlage klären und mit den Produktinformationen abgleichen.
  2. Zahlreiche Nachhaltigkeitsansätze: Sowohl ein Produkt, das lediglich Hersteller von Streumunition aus seinem Anlageuniversum ausschließt, als auch ein Produkt, dessen Fondsmanagement bewusst in kontroverse Unternehmen investiert und durch Dialoge und die Ausübung von Stimmrechten auf Aktionärsversammlungen einen positiven Einfluss auf die künftige Geschäftspolitik des Unternehmens zu nehmen versucht, können sich als “nachhaltig” bezeichnen.
  3. Greenwashing: Irreführende Aussagen über den ökologischen Mehrwert eines Fonds/Finanzprodukts/ investierten Unternehmens. Greenwashing-Vorwürfe resultieren häufig aus der Diskrepanz zwischen dem eigenen Verständnis von Nachhaltigkeit, kommunizierten und tatsächlichen Produkteigenschaften.

Lösung: Eigene Werte & Transparenz der Finanzprodukte

  • Seien Sie kritisch.
  • Fragen Sie sich, was aus Ihrer Sicht eine “nachhaltige” Geldanlage ausmacht (z. B. bestimmte Themen wie Erneuerbare Energien, Branchen wie Wasseraufbereitung, Regionen wie Europa, Welt)
  • Überlegen Sie, in welche Geschäftsaktivitiäten oder Unternehmen Sie auf keinen Fall investieren möchten
  • Setzen Sie sich mit den empfohlenen oder selbst gewählten Produkten auseinander und prüfen z. B. den kommunizierten Nachhaltigkeitsansatz (z. B. Ausschluss kritischer Branchen, aktives Engagement), Ländergewichtung und die größten Positionen anhand der Fonds-Factsheets und die nachhaltigkeitsbezogenen Informationen gemäß der FNG-Nachaltigkeitsprofile.
  • Gleichen Sie Ihre Kriterien mit den Produkteigenschaften ab und prüfen Sie, inwiefern Sie eine Null-Toleranz-Grenze ziehen und wo Kompromisse eingegangen werden können.
  • Betrachten Sie Nachhaltigkeit und Transformation als einen Prozess. Regulatorische Vorgaben werden ständig weiterentwickelt, für die Beurteilung nachhaltiger Geschäftsprozesse relevante Daten stehen derzeit noch nicht in zufriedenstellendem Umfang zur Verfügung. Das Ziel ist klar. Der Weg ist steinig, aber begehbar.